Viele Menschen wollen perfekt sein, perfekt schreiben, jede Aufgabe perfekt abliefern. Aber mal ehrlich, reicht gut nicht vollkommen aus? Warum alles perfekt machen wollen? Ist das nicht eine Handbremse, manchmal sogar ein Motivationskiller? Für mich steht fest: Perfektionismus ist nicht der ersehnte Schlüssel zum Erfolg. Meist erzeugt er stattdessen Frustration und Selbstzweifel. Das erlebe ich täglich im Autorencoaching mit meist hochkarätigen Experten, die ihr Wissen in einem Buch festhalten wollen.
Dieses soll ihnen eigentlich zu mehr Erfolg und Sichtbarkeit verhelfen und ihre Expertise nach außen präsentieren. Doch diese Menschen sind in der Regel keine geübten Schreiber beziehungsweise Texter oder haben gar einen journalistischen Hintergrund, sondern sie sind Coaches, Trainer, Berater oder Speaker.
Dennoch glauben sie, in dem Moment, in dem sie mit dem Schreiben beginnen, müssten sie perfekt funktionieren: Die perfekte Struktur, die perfekte Wortwahl, der perfekte Satz werden gesucht. Das ist zum Scheitern verurteilt, keine Frage. Allein der erste Satz ist ein Desaster. Voller Motivation geht es an den Rechner: Heute geht´s los. Heute starte ich mein Buch. Dann schreibt der frischgebackene Autor, ohne Böses zu ahnen, den ersten Satz, liest ihn, findet ihn doof, löscht ihn wieder. Das Ganze von vorn. Schreiben. Lesen. Löschen. Schreiben. Lesen. Löschen.
Die Journalistin in mir muss schmunzeln. Ich denke, warum in aller Welt sollte ein wenig schreiberfahrener Mensch auf Anhieb können, woran Experten von der schreibenden Zunft auch nach 20 Jahren manchmal noch (ver-)zweifeln? Den auf Anhieb geschriebenen, perfekten ersten Satz gibt es nicht – und ich kenne niemanden, der ihn spontan aufs Papier bringt, besser gesagt, in den Rechner tippt.
Wenn ich selbst schwierige Texte schreiben soll, und das musste ich in meiner journalistischen Karriere schon oft tun, habe ich ein cooles Ritual: Ich lese mir meine Notizen am Abend, bevor ich beginnen will, durch, mache mir Gedanken über den „Aufhänger“ und nehme diese in meinem Kopf mit ins Bett. Mein Unterbewusstsein, mein treuer Freund, arbeitet über Nacht daran. Wenn ich aufwache, habe ich meist eine zündende Idee, bewege diese in meinem Kopf hin und her, formuliere die ersten Satzfragmente und nehme das Ganze mit unter die Dusche. Unter dem warmen Wasserstrahl formulieren sich die Worte fast wie von selbst, bis die ersten zwei, drei Sätze vor meinem inneren Auge zu lesen sind.
Ein wunderbarer Moment, der mir gleich ein Gefühl dafür vermittelt, ob der Text gut wird oder nicht. Meist wird er super. Dann muss ich sofort an den Rechner und diese ersten Sätze aufschreiben. Ich höre nicht auf, bevor ich nicht mindestens eine halbe oder ganze Seite geschrieben und ein gutes Gefühl dabei habe. Erst dann erlaube ich mir eine Pause und schaue noch mal auf den ersten Satz, um zu prüfen, ob er weiteren Feinschliff braucht. Ob meine Texte auf Anhieb perfekt sind? Nein, sicher nicht. Doch ich habe für mich erkannt, dass meine Stärken erst in den Textüberarbeitungen so richtig zum Ausdruck kommen.
Zugegeben, es spricht nichts dagegen, alles richtig machen zu wollen. Doch wer von sich erwartet, alles sofort zu 100 Prozent perfekt zu machen, gesteht sich selbst keine Fehler zu. Warum? Keinen Mut, Fehler zu machen? Kein Selbstvertrauen in das eigene Wissen? Macht nicht erst der gelassene Umgang mit verbesserungswürdigen Satz-Stolpersteinen den großen Bucherfolg möglich? Ich glaube, ja.
Doch dieses Risiko wollen Perfektionisten vermeiden. Sie wollen alles unter Kontrolle haben – und zwar sofort. Das ist beim Schreiben nicht selten eine massive Bremse, die Zeit kostet. Schlimmer allerdings ist, dass Perfektionismus die Lust am Schreiben raubt. Was leicht gehen soll, nämlich das Fließen der Worte und Sätze, das Formulieren der eigenen Gedanken, wird plötzlich schwer und zieht sich wie Kaugummi. Das Buchschreiben wird zum anstrengenden Muss.
Ich versuche, meinen Autoren, die ich meist über ein halbes Jahr beim Schreiben ihres Buches begleite, die Angst vor Peinlichkeiten in Wort, Satz und Text sofort zu nehmen. Ich versuche, für jeden einen geschützten Raum herzustellen, in dem wir zuerst inhaltlich diskutieren können, bis der erste Entwurf eines Kapitels oder des ganzen Buches fertig ist. Erst danach gehen wir an die Textüberarbeitungen und feilen am Stil.
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